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Hilaire Belloc

Hilaire Belloc, Gegen Mächte und Gewalten – ein weiterer Klassiker auf Deutsch

Von Wolfram Schrems*

Vorbemerkung: Da dieses Buch vor kurzem auf dieser Seite schon von Hans Jakob Bürger vorgestellt wurde, mögen sich vielleicht manche Leser wundern, warum es nun ein zweites Mal besprochen wird. Ich vereinbarte mit dem Verlag eine Besprechung und halte das auch ein. Das Buch ist durchaus mehrere Besprechungen wert. Im folgenden daher aus einem anderen Blickwinkel als dem von Kollege Bürger gewählten und auch etwas ausführlicher.

Im vergangenen Jahr wurde eine deutsche Übersetzung des großartigen Werkes The Great Heresies des englisch-französischen Historikers, Apologeten und Dichters Hilaire Belloc vom Renovamen-Verlag auf den Markt gebracht. Eine ausführliche Besprechung erschien zeitnahe auf dieser Seite.

Derselbe Verlag legt nun eine deutsche Ausgabe eines anderen Werkes von Belloc aus dem Jahr 1929 mit dem ursprünglichen Titel Survivals and New Arrivals: The Old and New Enemies of the Catholic Church vor. Es ist somit ein paar Jahre älter als die berühmteren Großen Häresien.

Es ist, mit C. S. Lewis gesagt, empfehlenswert, Bücher aus anderen Zeitepochen zu konsultieren. Denn allzu schnell sind wir geneigt, die jeweils eigene Zeitepoche für normativ und maßgeblich zu halten. Ein Blick in die Vergangenheit relativiert die Dominanz des jeweiligen Zeitgeistes mit seinen blinden Flecken – ohne daß damit schon ausgesagt wäre, daß ein früherer Autor seinerseits immer recht haben müßte.

Angriffe auf die Kirche als Ausgangspunkt der Untersuchungen

Belloc beweist seine Analysekraft gleich am Anfang:

„Die Gründe dafür [für die Ablehnung der Kirche] waren nicht nur von Epoche zu Epoche verschieden, sie waren ihrer Art nach auch stets zwiespältig und oft widersprüchlich. […] Die Kirche, so behaupten manche ihrer Feinde, stütze sich auf die Unwissenheit und Dummheit ihrer Mitglieder – diese seien entweder von schwachem Verstand oder entstammten den ungebildetsten Milieus. Von anderen Gegnern wurde sie der Lächerlichkeit preisgegeben, weil sie eine unfruchtbare Philosophie nichtiger Haarspaltereien vertrete“ (19f).

Er folgert:

„Diese Behandlung, die ausschließlich die Kirche erfährt, diese Tatsache, dass nur sie von allen Seiten angegriffen wird, wurde von ihren Apologeten zu allen Zeiten als ein Beweis ihrer zentralen Bedeutung für die gesamte Wirklichkeit betrachtet – es gibt eben nur eine Wahrheit, aber viele Irrtümer“ (20).

Der dritte „Belloc“ des Renovamen-Verlags

Die Analyse dieser Angriffe ist nach Belloc deswegen wichtig, weil für Gläubige und Ungläubige und Feinde der Kirche die Kirche eben eine zentrale Rolle für Kultur und Zivilisation spielt. Damit sollten sich alle, die von einer Gleichwertigkeit der „Religionen“ ausgehen, diese Einsicht Bellocs gerahmt über ihren Schreibtisch hängen:

„Die Ausgestaltung einer jeden Gesellschaft ist letztlich abhängig von ihrer Philosophie, von ihrer Betrachtung der Welt und von ihrer Haltung zu den moralischen Werten. Konkret bedeutet das: von ihrer Religion. Ob diese Gesellschaft ihre Philosophie als »Religion« bezeichnet oder nicht, spielt keine Rolle“ (22).

Das betrifft etwa auch die Wirtschaft und die – zur Zeit Bellocs noch gar nicht sehr lange zurückliegende – Frage der Sklaverei. Je mehr die katholische Prägung einer Gesellschaft verschwindet, desto mehr kommt es durch die Arbeitsgesetzgebung wieder zu sklavenähnlichen Zuständen (24).

Die Lage des Glaubens und seiner Gegner ist also ausschlaggebend für die gesamte Welt. Damit kommt Belloc zu den Detailuntersuchungen.

Wechselnde Kategorien von Gegnern

Bellocs Analyse führt zu einer Unterscheidung von Feinden der Kirche. Er nennt „Hauptgegner“ in einer bestimmten Epoche, etwa den Arianismus, den Mohammedanismus, die nordischen Piraten und die Mongolen und die Albigenser. Darauf folgen Jansenismus, Puritanismus und Nationalismus. Sodann gibt es „alte Feinde“ am Schlachtfeld, die als „Überbleibsel“ die Hauptgegner flankieren. Und schließlich muß mit jeweils „neuen Feinden“ gerechnet werden, weil die Kirche niemals im Frieden leben kann (29). Eine bestimmte Epoche übersehe aufgrund ihrer Fokussierung auf den Hauptfeind eben leicht die nachwirkenden alten Feinde oder das oft sehr diskrete Aufkommen der neuen.

Er unterscheidet für seine Untersuchungen sodann die Situation der Kirche in Kulturen, die mit der „griechischen“ (orthodoxen) Kirche in Verbindung stehen, die protestantisch geprägt sind und die der katholischen Kultur verbunden sind.

Bezüglich ersterer stellt er fest:

„Es bleibt allerdings zu festzuhalten, dass die sowjetische Revolution die gesamte griechische Kulturwelt bis ins Mark erschüttert hat. (…) Das Zarentum war der Kern oder die Grundlage der gesamten griechisch-orthodoxen Kultur. Es war die notwendige Institution und der zentrale Pfeiler, auf dem der gesamte Bau ruhte. Es sicherte der orthodoxen Religion eine machtvolle Monopolstellung, und es setzte sich aktiv und kraftvoll dafür ein, den Katholizismus gewaltsam abzuwehren, nicht nur in Russland, sondern etwa auch in Serbien, wo man diesem Beispiel folgte. All das ist zerbrochen. Die Sowjetregierung ist trotz bestimmter Wechsel in der letzten Zeit nach wie vor überwiegend jüdisch, nicht nur im personellen Bereich ihrer Geheimpolizei im Inneren und ihrer Propagandisten im Äußeren, sondern auch in ihrem sittlichen Charakter und ihren Methoden. Sie hegt womöglich nicht aufgrund ihres jüdischen Hintergrundes, wohl aber wegen ihres Bolschewismus, einen starken Hass sowohl auf die griechische Kirche als auch auf den Katholizismus“ (35).

Der junge Belloc

Hochinteressant ist auch die vernichtende Kritik an den Grenzveränderungen nach dem Weltkrieg in Jugoslawien und die dort erfolgte „bedenkliche Unterwerfung der katholischen Kroaten und Slowenen unter die orthodoxe Macht Serbiens. Die inkompetenten Politiker, die der Christenheit nach dem großen Krieg ihre eigene Geistesverwirrung und historische Ignoranz aufgezwungen haben, banden eine bedeutende katholische Bevölkerungsgruppe nicht föderativ, sondern absolut an eine Dynastie, eine Hauptstadt und eine Regierung, die nicht ihre eigene ist […]. Die desaströsen Folgen dieser Stümperleistung haben wir bereits gesehen“ (ebd).

Für den heutigen Leser ist in den folgenden, mehr zeitgebundenen Ausführungen, wohl die Darstellung der offiziellen und allein maßgeblichen Geschichtsschreibung in England am interessantesten (44). Denn der Zwang einer omnipräsenten Geschichtspolitik ist nicht erst eine Erfindung der Siegermächte des II. Weltkrieges (wenngleich zur Zeit Bellocs die Durchsetzung bestimmter historischer Auffassungen per Gesetz vermutlich noch nicht üblich war).

Alte Feinde und die Hauptopposition zur Zeit Bellocs…

Belloc wendet sich im zweiten Kapitel den „alten Feinden“ zu, die zu seiner Zeit keine große Kraft mehr entfalteten. Es handelt sich in aufsteigender Reihenfolge um den Biblizismus (also das Sola Scriptura-Prinzip mit seiner verheerenden Überbetonung des Alten Testamentes, die Hexenwahn und Ausrottung von Eingeborenen begünstigte, 61), den Materialismus, das „Macht- und Wohlstand-Argument“ (also die militärische und wirtschaftliche Stärke der protestantischen Nationen gegenüber den katholischen), das „historische Argument“ (historische Forschung könne die angeblich erst spät entstandenen Dogmen von Eucharistie und Papsttum widerlegen) und – der stärkste Gegner – die „wissenschaftliche Negation“ (die Anwendung – vermeintlich – naturwissenschaftlicher Erkenntnisse auf die Religion und die evolutionistische Vernichtung der Teleologie des Geschaffenen).

Ab dem dritten Kapitel („die Hauptopposition“) wird es für ein Verständnis unserer eigenen Zeit relevanter und daher auch spannender:

Belloc nennt für seine Zeit den Nationalismus, den Antiklerikalismus und den „modernen Geist“ als Hauptgegner (116).

Wichtig ist dabei nach Belloc zu verstehen, daß es bei diesen drei Strömungen nicht um exakt ausformulierte Doktrinen oder um explizite Angriffe auf das katholische Glaubensgut geht, nicht einmal beim Antiklerikalismus. Es handelt sich viel eher um eine andere „Mentalität“:

„Was den gehaltlosen »modernen Geist« angeht, so ist dieser zwar im Wesentlichen antikatholisch, hat jedoch nicht die intellektuelle Kapazität, um auch nur die einfachste Positionsbestimmung vorzunehmen“ (118).

Hochinteressant für uns Heutige ist Bellocs Kritik am Nationalismus seiner Zeit. Denn dieser hatte eine anti-katholische Stoßrichtung (vgl. 45). Er zerstörte die Christenheit:

„Diese neue Religion des Nationalismus, d. h. die Geisteshaltung, die Nation zum Selbstzweck zu machen, hatte neben anderen bedauerlichen Auswirkungen auch die Zersplitterung unseres gemeinsamen kulturellen Erbes und unserer gemeinsamen europäischen Eigenart in viele isolierte Fragmente zur Folge (…). Es ist eine Tragödie – eine Art Mord an der Christenheit. Die Vielheit unserer Sprachen wird nicht länger durch den gemeinsamen Gebrauch des Lateins überbrückt. Diese Trennung ist nicht einfach eine Gegebenheit. Sie wird mit allen Mitteln aktiv gefördert“ (125).

Die Revolution hatte also erst die Rechte der Nation maßlos übertrieben und sie gegen die Kirche ins Treffen geführt. Nunmehr, etwa hundert Jahre später, bekämpft die Revolution Nationen und ihre Rechte theoretisch und praktisch.

Die Christenheit wurde aufgelöst und die Restbestände werden gerade in einem sterilen, kulturmarxistischen, antichristlichen Pseudo-Europa neu zusammengesetzt. Das satanische Solve et coagula, vor dem Erzbischof Viganò vor kurzem Präsident Trump warnte, spielt sich vor unseren Augen ab.

Schon Belloc fiel es auf, daß die Regierungen oft sehr weit vom Empfinden der Regierten entfernt sind:

„Und so katholisch ein Volk auch sein mag: Es wird unter den heutigen Umständen kaum jemals eine katholische Regierung haben“ (129).

Damit hat er leider recht behalten.

Hochinteressant ist seine Feststellung, daß zwei Mächte gegen den Nationalismus arbeiten, nämlich die internationale Hochfinanz und der internationale Sozialismus, wobei letzterer ein „unmenschliches Ideal“ ist, „das nicht in die Praxis umzusetzen ist“ (134). Es wäre interessant zu lesen gewesen, wie beide Mächte personell und ideologisch zusammenhängen.

… vor allem der „moderne Geist“: Sumpf und Verwirrung

Der eigentliche Hauptgegner zur Zeit der Abfassung des Buches ist aber der „moderne Geist“. Dieser ist mehr lähmender Widerstand als aktiver Angriff. Belloc faßt es genial zusammen:

„[Der ‚moderne Geist‘ macht] die Religion unverständlich. Seine Wirkung auf die Religion ist der Wirkung eines Opiats auf die Verstandeskraft vergleichbar. Er stumpft die Wahrnehmungsfähigkeit ab und blockiert den Glaubenszugang (155).“

Inhaltlich ist diese Mentalität „Schall und Rauch“ und kann sich nur in Hirnen festsetzen, die „unfähig zur Kritik“ sind (157). Mode, Presse und das blinde Nachplappern sind Motoren dieser Dynamik. Gleichzeitig betrachtet man sich als „kritisches Zeitalter“ und schaut verächtlich auf das „Mittelalter“ herab:

„Der »moderne Geist« setzt ohne Prüfung eine Reihe von ersten Prinzipien voraus, z. B., dass im Verlauf der Jahrhunderte ein notwendiger Prozess vom Schlechteren zum Besseren gegeben sei“ (160).

Liberaler Abgeordneter und katholischer Denker

Und genau diese Unvernunft bedroht den Glauben, weil der Glaube auf Vernunft aufgebaut ist. Dieser Geist ist weit weniger konkret als der klassische Agnostizismus und Skeptizismus, der seine Überzeugungen immerhin klar darlegte.

Vehikel der Verbreitung dieses neuen Geistes sind das Zwangsschulsystem und die Presse. Und genau das ist für unsere eigene Zeit relevant: Vielen fällt es ja kaum noch auf, daß sowohl das Schulsystem mit seinen nie offen dargelegten und ausdrücklich begründeten inhaltlichen Vorentscheidungen als auch die Medienwelt mit ebenfalls uneingestandenen Axiomen die Geisteshaltung unserer Länder zutiefst prägen.

Mit welchem Recht eigentlich?

Die Medienwelt unterstützt durch Sensationsmeldungen ebenfalls die Trägheit des Denkens und füttert den Leser und Zuseher mit falschen Ideen. Belloc meint zwar, daß hier keine „Verschwörung“ gegen Wahrheit und Religion vorliege (184). Der Rezensent meint, daß es aber eher unwahrscheinlich ist, daß der gesamte Medienhauptstrom „zufällig“ seit Jahren überall dasselbe sagt.

Neuheidentum und Spiritismus als Produkt der Apostasie vom Glauben

Hochinteressant ist auch die Analyse von neu hinzukommenden Gegnern der Kirche, also solchen, die sich zur Zeit der Abfassung des Buches herausbildeten. Diese richten sich weniger gegen die doktrinären Lehrsätze der Kirche als vielmehr gegen die Moral (191).

Belloc nennt diesen Gegner das „Neuheidentum“, welches etwas viel Schlimmeres ist als das originäre Heidentum der Römer und Griechen. Es bringt bewußt Häßliches und Abscheuliches hervor (198). Es steht hinter der „modernen Kunst“ und ist ein Ausdruck von Verzweiflung.

Belloc stellt fest, daß das Neuheidentum dem überlieferten Heidentum Afrikas und Asiens die Tore Europas öffnet. Da der Glaube schwindet, kann diese „Infiltration“ (204) effektiv erfolgen. Das offenkundigste, aber nicht wichtigste Beispiel ist der Verfall der Musik durch die von afrikanischen Rhythmen bestimmte Unterhaltungsmusik.

Belloc dazu generell und im Gegensatz zu unserem heutigen, „multikulturellen“ Zeitgeist:

„Dieser neue Respekt gegenüber den nicht- und antichristlichen Kulturen Europas ist vielmehr etwas sehr Schlechtes. In seinem weiteren Verlauf führt er unweigerlich, wie schon oft geschehen, bei vielen zu einer Verachtung der christlichen Tradition und Philosophie als etwas sowohl Überholtes als auch Infantiles“ (205).

Belloc betrachtete eine Renaissance des Islam im 20. Jahrhundert als möglich und aufgrund des Verfalls des Christentums zu seiner Zeit (!) als wahrscheinlich. Der Islam werde auf eine subtile Weise zum Verbündeten des Neuheidentums im Kampf gegen die Katholische Kirche und Zivilisation.

Allerdings sei noch keine organisierte Konkurrenz-Religion zur Kirche am Horizont sichtbar, lediglich ein Wust an „Übungen in Subjektivismus“ (216). Letztlich stamme dieses Chaos aus dem Autoritätsvakuum, das die „Reformation“ hinterlassen hat. Allerdings gebe es ein Ansteigen des „Spiritualismus“. Da Belloc in diesem Zusammenhang von Séancen schreibt, ist wohl „Spiritismus“ der treffendere Ausdruck: Er erwähnt auch den – möglicherweise von Eigenerfahrung inspirierten – Roman The Necromancers (1909, also Die Totenbeschwörer) von Msgr. Robert Hugh Benson, der eine Warnung vor okkulten Praktiken darstellt.

Damit prophezeit Belloc, daß derjenige, der die neuheidnische Verzweiflung mit der Befriedigung messianistischer Befindlichkeiten verbinden können wird, nur einer sein kann: der Antichrist.

Ausblick: Bellocs Mutmaßungen

Im letzten Kapitel erörtert er Chancen auf eine katholische Restauration. Er weist auf das „Glück“ hin, das einer katholischen Gesellschaft zuteil wurde. Die katholische Welterklärung erwies sich so als geradezu „triumphal“ (228). Im Gegenzug sieht man jetzt einen intellektuellen und vor allem moralischen Verfall, der ein Weckruf sein könnte. Gleichzeitig konstatiert Belloc eine Zunahme der katholischen Apologetik, die ihre Gegner empfindlich störe. Neuzuwächsen an Intellektuellen steht allerdings ein Schwund an Katholiken insgesamt gegenüber.

Er schließt mit der folgenden Mutmaßung:

„Entweder werden wir die allmähliche Durchdringung der Menschheit durch das einzige verstandeskonforme Wahrheitssystem erleben, das das größtmögliche Maß an Sicherheit gewährt, das einer gefallenen Menschheit möglich ist [das katholische], oder unsere Zivilisation wird zu einem völlig bizarren Etwas werden, das noch weniger vom Glauben weiß als die Millionen verzweifelten Städter heute (238).“

Allerdings werde – angesichts der bisherigen Gedanken Bellocs etwas paradox – ein kommender Vormarsch des Glaubens mit Verfolgung verbunden sein.

Vorhersagen Bellocs und kritische Punkte
Was seine Vorhersagen betrifft, so behielt er mit manchen recht, mit anderen nicht: Er sagte, wie schon erwähnt, zutreffend den Wiederaufstieg des Islams voraus, der ja damals im Zuge der Kemalisierung des ehemaligen Osmanischen Reiches den meisten Beobachtern äußerst unwahrscheinlich schien.

Falsch lag Belloc mit seiner Rede vom „wahrscheinlich kurzlebigen […] Flächenbrand“ des Kommunismus (27). Offenbar konnte er sich nicht vorstellen, daß sich ein dermaßen perverses und satanisches System – allerdings mit massiver propagandistischer und finanzieller Hilfe aus dem Westen – so lange halten würde können. Er wäre entsetzt zu sehen, wie kommunistische Ideen die Grundlagen der Europäischen Union bestimmen und wie weitverbreitet linksradikale Strömungen auf der Straße („Antifa“, BLM), in den Medien, in der Gesetzgebung und der „Kultur“ sind.

Erstaunlich ist die positive Bewertung der Renaissance durch Belloc, die durch die Reformation bedauerlicherweise zerstört worden sei (60). Die Renaissance hatte aber bekanntlich einen starken heidnischen Charakter und ein Faible für Okkultismus. Hier kann man Belloc nicht ohne weiteres folgen. Belloc nennt etwa Kopernikus als einen Autor der Renaissance. Dieser stammte allerdings aus deutscher Familie, nicht aus polnischer (61).

Daß die von Belloc im Jahr 1929 wahrgenommene „katholische Renaissance“ durch das Wiederaufleben der katholischen Philosophie und Literatur leider nicht „dauerhaft“ (87) blieb, ist vor allem dem Wirken der bereits infiltrierten Kirchenhierarchie und dem Desaster des II. Vaticanums zuzuschreiben. Die kirchliche Selbstzerstörung hatte er noch nicht am Radar.

Was nicht ganz stimmt, ist, daß die Umwelt Mohammeds neben jüdischen Gruppen überwiegend katholisch gewesen wäre (207). Die Pointe des Islam ist ja gerade, daß er die doktrinäre und organisatorische Uneinigkeit der Christen bemerkt hat und bis heute für seine Propaganda ausschlachtet. Ob die Lehre von der Entstehung des Islam, wie sie Belloc vertritt, heute noch haltbar ist, kann hier nicht entschieden werden, dem Rezensenten erscheint sie eher fragwürdig.

Resümee: Hilaire Belloc – intellektuelle Analysekraft und katholisches Selbstbewußtsein

Das vorliegende Werk erschließt sich nicht sofort. Es verlangt aufmerksame und ggf. wiederholte Lektüre. Immerhin ist es fast hundert Jahre alt und hat einen uns fremden Kulturkreis zum Hintergrund. Nichtsdestotrotz lohnt sich die Beschäftigung mit Belloc auch im Jahr 2020. Neben dem schon erwähnten Argument von C. S. Lewis, daß ältere Literatur blinde Flecken unserer eigenen Zeit korrigieren kann, sind es besonders zwei Gründe:

Erstens hat Belloc alles, worüber er schreibt, genau durchdacht. So zeichnet er etwa das „moderne Denken“ sehr gut als Pathologie des Geistes: Hier trifft man auf ein Sammelsurium an schlecht begründeten Meinungen, die fanatisch verkündigt und geglaubt werden. An den Inhalten des „modernen Denkens“ ist nichts rational, weder die Evolutionstheorie, noch die Theorie der Entstehung von Religion aus dem Bedürfnis der Menschen und schon gar nicht die Kritik an der historischen Zuverlässigkeit der Evangelien und der Apostelgeschichte.

Zweitens vertritt Belloc ein heutzutage nur sehr selten vorhandenes katholisches Selbstbewußtsein. Er weiß, daß unsere Kultur und alles, was sich Kultur und Zivilisation nennt, von Kirche und Glauben stammten. Er sagt, daß beim Zusammenbruch des Glaubens auch Vernunft, Manieren und Kultur verschwinden werden. Knapp hundert Jahre später sehen wir, wie sehr Belloc recht behalten hatte.

Dem Renovamen-Verlag gebührt Dank und Anerkennung, mit einer preiswerten Taschenbuchausgabe diesen bedeutenden Autor im deutschen Sprachraum wieder etwas besser bekannt gemacht zu haben.

Für den deutschen Leser der Gegenwart sind die Erklärungen in den Fußnoten sehr wichtig. Es hätten durchaus noch mehr sein können.

Leider ist die Übersetzung manchmal holprig oder fehlerhaft („erheblicher“, 26, muß heißen „unerheblicher“, u. a.). Verschreibungen wurden nicht ausgemerzt. Ein „Falvius Josephus“ (97) darf nicht passieren. Was „Tiefamter“ sein sollen (216), erschließt sich dem Leser nicht (vielleicht „Tiefatmer“?). Wer „der Kapp“ ist (38), ist ebenfalls unklar (vielleicht „das Kap“, also Südafrika). „Lehren“ wird mit doppeltem Akkusativ konstruiert (84, 192), entsprechend muß das Passiv gebildet werden (46).

Vielleicht kann das bei einer wünschenswerten Zweitauflage ausgemerzt werden.

Der Rezensent wünscht dem Verlag jedenfalls weiterhin erfolgreiches Schaffen. Möge es allen AMDG nützen.

Hilaire Belloc, Gegen Mächte und Gewalten. Die alten und neuen Feinde der katholischen Kirche, Renovamen-Verlag 2020, ISBN 978–3956211386, 248 Seiten; 16 Euro.

*Wolfram Schrems, Wien, Mag. theol., Mag. phil., Katechist, Pro Lifer, Leser englischsprachiger katholischer Autoren (neben Belloc vor allem Kardinal John Henry Newman, Msgr. Robert Hugh Benson und – mit etwas Mühe – G. K. Chesterton)

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